Ein Liebesbriefautomat. Rückzugsorte. Hängematten. Ein Grillplatz. Blumenbeete. Ein Springbrunnen. Eine beleuchtete Pergola. Ein Schachtisch. Sitzbänke. Sofas. Ein großer Tisch für den Kaffeeklatsch. Eine Sommerküche mit Grill. Ein intimer Treffpunkt. Eine große Bühne. Wäscheleinen. Ein Dosentelefon. Ein Pool. Schaukeln. Etwas zum Skaten. Eine Bühne. Viele Regenbögen. Ein Insektenhotel. Strandkörbe. Ein Sessel zum Geschichtenerzählen. Lichterketten in den Bäumen ...
Dies alles waren Wünsche der Anwohner*innen zur Gestaltung der Grünfläche am bisher noch ziemlich fiktiven Billhorner Platz mitten in Rothenburgsort – Einen Platz, den es eigentlich gar nicht gibt, den zuvor aber schon projektbüro und raumlabor zusammen hingedacht, proklamiert und auch schon mit Sitzgelegenheiten und verschiedenen Aktionen getestet haben. Dieser Platz sollte nun über den Sommer in einen wirklichen, temporär gestalteten Park überführt werden. Ein Pop-Up-Park auf Probe sollte hier entstehen, ein Mehrgenerationenspielplatz mit dem Ziel den Wünschen und Bedarfen der Anwohnenden Raum zu geben und Platz zu verschaffen – wenn auch (erstmal) nur temporär.
Für diesen Prozess hatten wir von endboss uns drei aufeinander aufbauende, aber trotzdem sehr unterschiedliche co-kreative Workshops ausgedacht. Am Anfang war unser Team sechs Tage mit dem Doppeldeckerbus vor Ort, wobei in dieser Zeit Kinderzeichnungen und schnelle Skizzen als einfache Gestaltungsmöglichkeit von Ideen gesammelt wurden. Am Ende stand dann eine Schaumbetonparty, in der aus den gesammelten Ideen umsetzbare Skulpturen gestaltet wurden. In einem großen 1:1 Experiment. Oder: Aus Träumen werden manchmal Schäume. Aus Beton.
Aber der Reihe nach.
Zunächst einmal kam endboss im Juli für den ersten Teil der Workshops nach Rothenburgsort, um mit den Anwohner*innen zu malen und zu zeichnen und nicht zuletzt über ihre Wünsche und Vorstellungen ins Gespräch zu kommen - für den Stadtteil, aber auch konkret für den Billhorner Platz. In diesem ersten Workshop sollte mit Hilfe von jenen Skizzen möglichst niedrigschwellig - also so unakademisch und angstfrei wie möglich - Ideen und Visionen für diesen Platz gesammelt werden. Mit Papier bespannte Tische und weiteres Material wurden bereitgestellt. Gemeinsam wurde gekocht und gegessen. Konzerte fanden statt. Skizzen, Stricheleien und Farbkleckse entstanden - ohne dabei ein Blatt vor den Mund zu nehmen. So kamen wir mit den Anwohner*innen zusammen und sammelten einen großen Haufen Zeichnungen (ganze 147!!), ein von möglichen und unmöglichen Ideen für die nächsten Schritte.
Und diese nächsten Schritte waren knapp und knackig kalkuliert: In nur sechs Wochen wurde eine offizielle Genehmigung gebraucht, um mit dem konkreten Bau der gesammelten Vorschläge zu beginnen. Für ein normales Genehmigungsverfahren muss man aber detaillierte Pläne einreichen und solche Planungsprozesse können Jahre in Anspruch nehmen. Wirklich: Jahre! Diese Zeit war nicht da und detaillierte Pläne schon gar nicht. Außerdem sollten die Ideen im Gegensatz zu normalen, langwierigen Planungen direkter umgesetzt werden - quasi direkt vom Kopf in die Hand -, sodass die üblichen Verfahren für uns nicht in Frage kamen. Also bediente sich unser Büro eines Kniffs (eines Kunstgriffs), der vielleicht so bisher einmalig ist: Die zu bauenden Objekte wurden als Kunstwerke deklariert und das, was auf der Freifläche entstehen sollte, dementsprechend als Skulpturenpark. Dazu beriefen wir uns auch auf die Kunstfreiheit der Anwohner*innen. So reichte es aus, dass nur unscharfe Pläne eingereicht wurden, wo ungefähr etwas entstehen sollte - ein langwieriges Verfahren wurde so umgangen und wir bewahrten uns die Möglichkeit, zu einem späteren Zeitpunkt gemeinsam mit allen Beteiligten spontan umzuplanen und die Skulpturen noch auf der Baustelle weiterzuentwickeln. Am Ende und nach viel Überzeugungsarbeit kam die Genehmigung und es konnte losgelegt werden!
Zunächst einmal wurde aber kommuniziert, kuratiert und gruppiert. Manche Ideen nahmen Formen an, andere mussten verworfen werden, weil sie sich trotz des offenen Verfahrens als doch nicht umsetzbar erwiesen. Mit den Anwohner*innen wurde nun beim nächsten Workshop im August Hand angelegt. Zusammen wurde gebaut und gebastelt - mit Holz, Beton, Stoff, Stahl und Fliesen - um sich verschiedenen Werkstoffen und Techniken zu nähern. Damit alle Beteiligten nicht nur zuschauen und mitreden, sondern auch die Angst davor verlieren, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Dazu wurden Workshops zu verschiedenen Bauweisen veranstaltet, die aber nicht von uns selbst angeleitet wurden, sondern wir griffen dazu auf die Superkräfte, Hidden Skills und das Know-How zurück, die im Quartier schon vorhanden waren. So lernten wir gemeinsam und voneinander, wie man eben näht, sägt, bohrt, Fliesen verlegt oder schweißt. Entstanden ist der bunte, überdimensionierte Schriftzug PLATZ. Ein erster Platz-Halter für den zu gestaltenden Pop-Up-Park.
Und schließlich: Im September dann das 1:1 Experiment, die große Baustelle, auf der die Entwürfe der Anwohner*innen mit allen zusammen umgesetzt wurden. Es wurde verhandelt, diskutiert, geformt, geklebt, bemalt und betoniert was - im Wortsinne - das Zeug hielt. Improvisierte Schalungen entstanden aus dem im zweiten Workshop benutzen Materialien - aus Segeltuch, Holz, Strohballen, Metallgerüsten etc. - und platzen am Ende nicht aus den Nähten, auch, wenn die Baustelle zeitlich auf Kante genäht war. Die im Juli gesammelten Zeichnungen verdichteten sich zu Collagen, die dann in vier unterschiedliche, thematische Rauminseln übersetzt wurden. Manche Wünsche konnten sehr konkret und direkt umgesetzt werden, wurden mit anderen kombiniert, manche erschienen auch in übertragener Form. Die Wahl für die Materialien für diese Umsetzung fiel auf Stahl, Fliesen und: Schaumbeton - hergestellt aus viel Luft, Wasser und Weißzement. Dieses neuartige und experimentelle Material ist wegen des niedrigen Materialverbrauchs äußerst nachhaltig, lässt sich durch die Zugabe von Pigmenten farbig einfärben und ist vor allem deutlich leichter als normaler Beton. So mussten die Schalungen und damit die fertigen Formen nicht besonders stabil sein und konnten vor allem mit Kindern und Laien einfach gebaut sowie noch vor Ort verändert werden: So entstand schließlich eine Bühne die nachts beleuchtet ist, ein vielfach gewünschter Regenbogen liegt als bunte Betontribüne daneben, ein ausrangierter Kaugummiautomat aus der Billstraße wird zum Liebesbriefautomat umfunktioniert, eine Sitzlandschaft mit Chaisselounge und Sitzsäcken laden zum Verweilen und Entspannen ein, eine große Tafel hat viel Platz für Überraschungsgäste, ein Grillplatz, Blumenkübeln für Kräuter und eine Pergola nehmen Formen an, zwei Betonsofas auf einer blauen Insel ist neuer Treffpunkt für intime Gespräche, und statt Springbrunnen wird ein Wasserspiel für Kinder aus einer alten Spüle gebaut über der Wäscheleinen gespannt sind. Am Ende entstand so innerhalb einer Woche ein temporärer, multifunktionaler und nutzbarer Skulpturenpark, der seit Mitte September auf einer Grünfläche mitten in Rothenburgsort zur Benutzung einlädt.
Wie es weiter geht?
Das ist noch offen. Da das gewählte Material Schaumbeton relativ haltbar ist, hoffen wir, dass die gestalteten Skulpturen noch eine Weile den fiktiven Billhorner Platz in einen real nutzbareren Ort verwandeln. Eine erste Hürde dazu ist auch schon genommen: Die Erlaubnis für die ursprünglich für nur 6 Wochen gedachte Nutzung wurde mittlerweile schon mehrfach verlängert und es ist sehr wahrscheinlich, dass die Skulpturen auch die nächsten Monate auf dem Billhorner Platz stehen bleiben und genutzt werden dürfen. Gemeinsam überlegen wir nun, was die nächsten Schritte sein können und wie vielleicht dieser nachbarschaftlich entworfen und ko-produzierte öffentliche Begegnungsraum, auch Raum und Einfluss nehmen und Platz bekommen kann, in der schon in den Startlöchern stehenden, stadtplanerischen Zukunft für diesen Stadtteil.
Endboss ist ein interdisziplinäres Studio für Raumfragen und -antworten in allen Maßstäben aus Hannover. Endboss kommt aus der Architektur und Stadtplanung, aus der bildenden Kunst und Literatur, aus den Sozialwissenschaften, der Freiraumplanung und vom Bau.
Der gebaute Raum und die variablen Freiräume dazwischen sind nach ihrem Selbstverständnis verantwortungsvolle Gestaltungsaufgaben, denen Sie sich mit jedem Projekt auf neue Art und Weise, mit unterschiedlichen Mitteln und in unterschiedlicher Team-Konstellation nähern. Routinen und Methodenkoffer versuchen sie zu vermeiden – stattdessen arbeitet Endboss stetig und mit wachsendem Erfolg an ihrer Manövrierfähigkeit in unsicherem Terrain. Auf diesem Gebiet fühlen sie sich am wohlsten, weil sie davon überzeugt sind, dass Unvorhersehbarkeit und Unprogrammiertes zwei entscheidende Faktoren in unserem Zusammenleben und unserer Planung sind, bzw. sein sollten.
Klassische Dienstleistung gehört daher nicht zu ihrem Portfolio. Genauso wenig sind sie für in’s Bauamt ausgelagertes, Stadtmarketing oder Bürger:innenbeschwichtigung für unsinnige Investor:innenprojekte zu haben. Wer allerdings ernsthaft Räume entwickeln will und nach experimentellen Strategien in urbanen Entwicklungszusammenhängen sucht, findet bei Endboss angstfreie Kompliz:innen in gemeinsamer Sache.